Das Berliner Neutralitätsgesetz ist ein Gesetz, das sich auf den Artikel 29 der Berliner Verfassung bezieht.
Es wurde am 27. Januar 2005 erlassen als „Gesetz zur Schaffung eines Gesetzes zu Artikel 29
der Verfassung von Berlin und zur Änderung des Kindertagesbetreuungsgesetzes“. Den
Wortlaut der insgesamt 7 Paragraphen in 3 Artikeln finden Sie hier. Etwas handlicher formuliert, sagt es dies:
Innerhalb des Dienstes dürfen folgende Personengruppen keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole tragen, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren. Sie dürfen auch keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Die Personengruppen werden in §§1, 2 und 7 genannt:
§ 1 Beamtinnen und Beamte, die im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs oder der Polizei beschäftigt sind. Das gilt im Bereich der Rechtspflege nur für Beamtinnen und Beamte, die hoheitlich tätig sind.
§ 2 Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.
§ 3 Die Einschränkungen gelten nicht für beruflichen Schulen … sowie Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs. Die oberste Dienstbehörde kann für weitere Schularten … Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die weltanschaulichreligiöse Neutralität der öffentlichen Schulen gegenüber Schülerinnen und Schülern nicht in Frage gestellt und der Schulfrieden nicht gefährdet oder gestört wird.
§ 4 Für Beamtinnen und Beamte im Vorbereitungsdienst und andere in der Ausbildung befindliche Personen können Ausnahmen von den §§ 1 und 2 zugelassen werden. …
§7 in Änderung des Kindertagesbetreuungsgesetzes: Das Personal von Tageseinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft soll auf Neutralität achten. Der Wunsch der Eltern soll bei ernsthafter Berufung auf ihre negative Glaubensfreiheit berücksichtigt werden können.
Schulfrieden als Kriterium
Mehrere muslimische Lehrerinnen, die im Klassenraum unbedingt das Kopftuch tragen wollten, wurden aufgrund dieses Gesetzes nicht eingestellt. Sie zogen vor Gericht, weil sie sich in ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt sahen. Damit haben sie auch gleich Behauptungen widerlegt, es handele sich ja lediglich um ein harmloses Kleidungsstück und der Staat dürfe keine Kleiderordnung erlassen. Ihren Klagen wurde oftmals stattgegeben.
Das Bundesverfassungsgericht verhandelte zweimal zu diesem Thema. Nachdem der Zweite Senat 2003 das Verbot von religiösen Symbolen und Kleidungsstücken für gerechtfertigt hielt, sofern eine neutrale gesetzliche Regelung dazu erlassen wird, verkündete der Berliner Senat 2005 das Neutralitiätsgesetz in seiner jetzigen Form. Dennoch zogen wieder muslimische Lehrerinnen vor Gericht – übrigens die einzige Gruppe, die sich mit dem Gesetz nicht abfinden wollte. Das Gesetz wurde 2015 erneut vor Bundesverfassungsgericht verhandelt; diesmal vor dem Ersten Senat. Er kam zu dem Ergebnis, dass eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens vorliegen müsse, um das Tragen religiöser Symbole und Kleidung zu untersagen. Ein „pauschales Kopftuchverbot“ sei nicht zulässig. Seitdem rätseln alle Beteiligten, was genau eine konkrete Störung des Schulfriedens sei.
Gutachten sagt: Das Gesetz ist verfassungkonform
Ist die Regelung in §§ 2, 3 des Gesetzes zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin vom 27. Januar 2005 (GVBl. S. 92) – Neutralitätsgesetz – mit dem Grundrecht auf Glaubensfreiheit aus Art. 4 GG sowie mit dem Benachteiligungsverbot nach Maßgabe von §§ 7 ff AGG vereinbar?
Ein Rechtsgutachten von Prof. Dr. Wolfgang Bock (Juristische Fakultät der Justus-Liebig-Universität Gießen), das er im Auftrag der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Berlin anfertigte, kommt zu dem Fazit:
„Das Berliner Neutralitätsgesetz ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Eine Änderung des Gesetzes ist weder geboten noch zu empfehlen. Das Verbot religiös ausdrucksstarker Kleidung wie des islamischen Kopftuchs der Lehrerin in der Schule ist angesichts bestehender religiös-kultureller Konflikte und entgegenstehender, vom Grundgesetz geschützter Rechtspositionen rechtmäßig und verhältnismäßig.“
Quelle: Gutachten Berliner Neutralitätsgesetz. Die Pressemitteilung dazu wurde am 05.09.2019 herausgegeben.
Angriffe von Linken und Grünen
Nicht nur Musliminnen, die ihren Glauben fundamentalistisch auslegen, sondern auch Linke und Grüne arbeiten daran, das Neutralitätsgesetz zu kippen. So beantragte im Jahr 2023 die Fraktion Die Linke, die §§2-3 zu streichen. Sie nannten ihren Antrag „Gesetz zur Änderung des Neutralitätsgesetzes – Neutralitätsgesetz verfassungskonform anpassen und Diskriminierung von Hijab tragenden Frauen beenden“. Dabei unterschlugen sie, dass es die muslimische Community selbst ist, die Frauen diskriminiert, unter anderem eben durch die Pflicht zur Verhüllung.
Einen neuen, radikaleren Anlauf startete die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im April 2025. Sie wollen das ganze Gesetz beseitigen, also auch (weiblichen wie männlichen) Richtern, Polizisten und Justizbeamten das Tragen religiöser Kleidung und Symbole uneingeschränkt erlauben. Ihren Antrag nennen die Grünen „Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin“. Auch das Personal von Kitas in öffentlicher Trägerschaft braucht dann bei Erfüllung seiner Aufgaben nicht mehr auf die weltanschaulich-religiöse Neutralität zu achten, und die Eltern können nicht mehr verlangen, dass ihr Kind von weltanschaulich-religiös neutral auftretenden Personen erzogen wird.
Hier wird dann auch der Schulfrieden keine Rolle mehr spielen. Missionierung der Schüler und Verlust des Vertrauens in die Neutralität des Staates werden die Folgen sein.